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Pergi und auch der Literat hatten sich wirklich fair verhalten. Der Literat hatte den kühnen Plan, mich in einer Postwurfsendung von Mercator zu schmuggeln, in der ich mich versteckt hielt, als sie abgeworfen wurde. Es war ein eiliges Weitwurfpaket, das die Umlaufbahn des Planeten verlassen sollte mit dem Ziel 'Lingam', einen Stern im Sternbild des Solarium anzusteuern, denn dort sollte ich meine ersehnte Cynthia vielleicht antreffen.

 

An unbequemes Reisen war ich inzwischen ja schon reichlich gewöhnt. Die Hoffnung auf ein Zusammentreffen mit IHR ließ mich jedoch in dieser unbequemen Haltung ausharren, denn das Paket war nicht sehr groß, gerade so, dass ich zusammengekauert darin Platz finden konnte. Immerhin gelang die Flucht fast perfekt und ich ließ auf Mercator Pergi und den Literaten als gute Freunde zurück. Unglücklicherweise verlief der Weiterflug dann nicht ganz so wie geplant.

Es war, glaube ich, am 4. oder 5. Standardtag, als ich plötzlich bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte mir bis dahin die Zeit damit vertrieben, alle Sterne die mit F anfingen aufzuzählen oder die Anzahl der Sterne eines Himmelssegmentes zu zählen, welche ich durch das Loch im Paket sehen konnte, das ich vor lauter Langeweile in die Wand meines ungewöhnlichen »Gefährts« gebohrt hatte, als ich plötzlich gewahr wurde, dass sich der Sternenhimmel seit Stunden nicht verändert hatte.

Ich stutzte und glaubte zuerst, durch einen besonders weiträumigen Teil des Alls zu fliegen, wo eben recht wenig geschieht, doch schließlich musste ich mir eingestehen, dass das Paket offenbar völlig zum Stillstand gekommen war.

Wie konnte das geschehen?

Im All ist ja bekanntermaßen alles in einer rotierenden Bewegung, was die Berechnung von Abständen nicht unerheblich erschwert. Stillstand gibt es eigentlich gar nicht. Dennoch schien ich mich keinen Normometer mehr weiter zu bewegen, da stets derselbe Ausschnitt des Himmelssegmentes zu sehen war. Und nicht nur das, vor mir leuchtete ganz in meiner Nähe ein rotes Licht!

Ich beschloss, das Paket vorzeitig zu verlassen und nachzuschauen, was gar nicht so einfach war, denn es sollte ursprünglich bei der Ankunft auf Lingam von außen aufgeschnürt werden müssen, damit niemand Verdacht schöpfte.

So blieb mir nichts anderes übrig, als mit aller Kraft das vorhandene Loch soweit zu vergrößern, dass ich wenigstens mit meinem Raumhelm nach draußen schauen konnte. Die Raumkombi musste ich ja aus Sicherheitsgründen ohnehin tragen. Mühsam steckte ich den behelmten Kopf durch das Loch, nachdem es endlich groß genug war und schaute nach draußen.

Vor mir schwebte eine Ampel, die mir den Weiterflug verwehrte, da sie eindeutig auf Rot stand. Ganz unweit von mir sah ich mehrere Pakete und Wurfsendungen ebenfalls regungslos im Raum verharren, denn ich war ja auf einer Postbahn unterwegs.

Offenbar hatte eine Gravitationsbremsanlage den Weiterflug gestoppt. Was aber konnte die Ursache der Unterbrechung sein?

Etwas oberhalb von mir, wenn ich den Kopf ganz weit aus dem Paket streckte, entdeckte ich ein Schild. Nur mit Mühe konnte ich die Schriftzeichen, die in Intergalaktisch geschrieben waren, entziffern. Dort stand:

Vorsicht! Heute Seelenwanderung.

Keine Durchfahrt!

Grünsignal abwarten.

 

Na bestens, das konnte dauern!

Wieso musste die Postbahn auch mitten durch ein Naturschutzgebiet führen?

 

Die Seelen sind eine parasitische Lebensform. Sie befinden sich stets in einer ziellosen Wanderung. Niemand weiß, woher sie kommen und wohin sie gehen. Sie durchstreifen den gesamten Kosmos immer auf der Suche nach einem Rastplatz. Dort verweilen sie für einige Normaljahre und leben davon, sich an Organismen festzusaugen und deren Energie abzuzapfen, wodurch diese schneller altern. Wenn sie dann die gesamte Energie übernommen haben, lassen sie die leblose Hülle zurück und wandern weiter. So geht das seit Äonen.

Es ist daher nicht sehr gesund, den Seelen zu nahe zu kommen. Um einer unkontrollierten Wanderung Herr zu werden, stellte man schließlich die Seelen kurzerhand unter Naturschutz und verbannte sie in Reservate. Dort ziehen sie nun auf komplizierten behördlich festgelegten Lemniskaten durch das All.

Wenn ich genau hinsah, sah ich hinter der Ampel auch einen feinen, nebelhaften Schleier vorbeiziehen, was nichts anderes sein konnte als massenhaft Seelen auf der Wanderschaft. Auch hörte ich ein feines Vibrieren, ein Jubilieren, ein Summen und fast harfenartige Klänge. Die Seelen frohlocken unentwegt bei ihrer Wanderung, was den arglosen Raumfahrer verführt, sich ihnen zu nähern.

Ich hatte genug gesehen!

Ribor Raskovnik... Auszug

Flucht von Mercator

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